Es ist 12.45 Uhr, als ich den Garten des Hauses Am Falder 135 in Holthausen betrete. Dort befindet sich das Haus Am Falder der IGL Düsseldorf – eine besondere Wohnform für 14 Menschen mit erworbenen Hirnschäden. Im Garten sitzen bereits Heinz, Doris, Robert und Sabine. „Wir werden gleich abgeholt!“ erzählt mir Sabine, eine 60-jährige Rollstuhlfahrerin, freudestrahlend. „Wer holt euch denn ab?“, will ich wissen. Schulterzucken bei Sabine und den anderen. „Vielleicht meint sie den Fahrdienst“, sagt die langjährige Mitarbeiterin Maike Fickert. „Auf den mussten wir in der Vergangenheit zurückgreifen, wenn wir einen Ausflug machen wollten.“
Doch der Fahrdienst kommt heute nicht. Und das ist ausnahmsweise eine gute Nachricht. Denn seit Neustem hat das Haus Am Falder endlich wieder einen eigenen Bus, um die dort lebenden Menschen zum Einkaufen, zum Fußball – oder wie heute nach Zons zu bringen.
„Den Bus und den behindertengerechten Umbau hat zum größten Teil die Aktion Mensch bezahlt“, erzählt mir Benjamin Freese, der bei der Antragsstellung des Förderprogramms Mobilität für alle federführend war und sich heute über den Erfolg mindestens genauso freut wie alle Anwesenden über den bevorstehenden Ausflug.
Aus gutem Grund, wie mir bei den Startvorbereitungen schnell klar wird: Mithilfe der nachträglich eingebauten elektrischen Hebebühne ist es für Maike ein Kinderspiel, Sabine samt Rollstuhl sicher und unfallfrei im Bus zu platzieren, während die mobileren Mitreisenden bequem über die breite Seitentür einsteigen und Platz nehmen können.
Der Bus bietet Raum für insgesamt neun Mitfahrer:innen und maximal zwei Rollstuhlfahrer:innen. Innerhalb weniger Minuten ist die Reisegruppe Zons startklar, gut gelaunt und unterwegs nach Urdenbach, zum Anleger der Fähre.
„Das Beste ist, dass im Bus Musik läuft“, sagt Sabine und wünscht sich den Titel „Musik nur, wenn sie laut ist“ von Grönemeyer. Der 18 Jahre alte Bus, den das Haus Am Falder nutzte, bis er vor drei Jahren kaputtging, hatte kein funktionstüchtiges Radio. Leider scheitert die Erfüllung des Musikwunschs an meinem Unvermögen, gleichzeitig Navi und Spotify zu bedienen, sodass wir auf WDR2 zurückgreifen. Auch gut. Sabine summt mit.
Nicht nur das Programm kommt gut an, sondern wir auch am Anleger. Dort zeigen sich sowohl die Sonne als auch der Fahrplan von ihrer besten Seite, sodass der Bus samt Insassen ohne Umschweife auf die dort vertäute Fähre fahren kann. Selbst der Fährmann ist begeistert von so viel guter Stimmung in unserem kleinen, schneeweißen Reisebus, dass er uns einen Sonderpreis macht – ganz ohne dass Schwerbindertenausweise gezückt und inspiziert werden müssen. Die Überfahrt ist kurzweilig und viel zu schnell vorbei, der großzügige Parkplatz auf der anderen Rheinseite schnell erreicht. Das eigentliche Ziel unseres Ausflugs ist der barrierefrei zugängliche Außenbereich des kleinen Eis-Cafés, in dem sich alle erstmal einen Kaffee gönnen. Eine gute Gelegenheit, um ein wenig zu plaudern.
„Fast zwei Jahre haben wir auf den neuen Bus gewartet“, verrät mir Maike. In dieser Zeit waren Ausflüge wie dieser nur sporadisch möglich, da sie umständlich über andere Fahrdienste organisiert werden mussten. „Die Nutzung des Öffentlichen Nahverkehrs ist für unser Klientel nahezu unmöglich.“ Denn Menschen mit geschädigtem Nervensystem sind oft auch mobilitätseingeschränkt und auf Hilfsmittel wie Rollstühle oder Gehhilfen angewiesen. „Die Planung von rollstuhlgerechten Routen ist sehr anstrengend und zeitaufwändig. Das ist im Arbeitsalltag kaum zu bewältigen. Viele Haltestellen sind einfach nicht barrierefrei.“ Wo kann ich einsteigen? Wo kann ich aussteigen? Diese Fragen entpuppen sich als schier unlösbare Aufgaben, wenn man Unterstützung benötigt.
„Bevor der Bus kaputtging, waren wir ein- bis dreimal in der Woche unterwegs. Ohne Bus vielleicht einmal im Monat.“ Maikes Stimme klingt enttäuscht. „Wir waren an den näheren Umkreis des Hauses gebunden und konnten nicht mehr als Spaziergänge in der Umgebung anbieten.“ Doch dann huscht ein Lächeln über ihr Gesicht: „Aber jetzt ist alles anders. Letzte Woche waren wir bei Fortuna. Sabine konnten wir regelmäßig zu ihren Theater-Proben fahren. Diese Möglichkeiten verbessern die Lebensqualität unser Bewohner:innen enorm. Und darüber sind wir alle sehr glücklich.“
Ebenfalls sehr glücklich wirken meine Mitreisenden, als es nach einem gemütlichen Spaziergang durch Zons zurück in den Bus und nach Hause geht. Im Radio läuft „One“ von U2 und während Frontmann Bono „Carry each other“ singt – also davon, dass sich zwei gegenseitig unterstützen, denke ich mir: dank der großzügigen Hilfe in Höhe von 32.000 € der Aktion Mensch wird das nun allen Beteiligten ganz erheblich leichter fallen.